Geschichtswerkstatt Merseburg
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Stolperstein für Dr. Margarete Bothe in Merseburg verlegt

Der Stolperstein aus der Werkstatt von Michael Friedländer in Berlin
Der Stolperstein aus der Werkstatt von Michael Friedländer in Berlin

 

Wir nehmen heute diese Rede von Frau Dr. Barbara Murken, Ottabrunn/bei München zur Verlegung, um der Dokumentation auf unserer Website einen würdigen Informationsrahmen zu geben und gleichzeitig das Engagement von Familie Murken (auch im Namen von Anghörigen der Familie Bothe) zu würdigen. Unter großer Anteilnahme konnte die Jugendgruppe des Domgymnasiums Merseburg ihr Vorhaben realisieren. Mit dem Bürgermeister Merseburgs Gatzlaff und zahlreichen Stadträten wurde die Gewichtigkeit der Aktion für die Stadt sehr deutlich. Hier der Text:

 

Begrüßung und Vorstellung                          12.April 2021 Merseburger Ansprache

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister

Sehr geehrte Freunde der Margarete Charlotte Bothe

liebe Schülerinnen, Schüler und Lehrer des Domgymnasiums Merseburg

liebe „Steinkämpfer“ der Geschichtswerkstatt Merseburg

 

Mein Name ist Barbara Murken.

Ich bin 1945 in Schmalkalden in Thüringen geboren

und 1951 mit meiner Familie mit 6 Jahren nach München gezogen.

Davor habe ich 15 Monate hier in Merseburg bei meinen Großeltern

in der Thietmarstraße vom Frühjahr 1950 bis zum April 1951 gelebt.

 

Ich kann kaum in Worte fassen, welche Ehre es für mich bedeutet,

heute am Todestag Margarete Bothes

anlässlich der Stolpersteinverlegung ein paar Worte sagen zu dürfen.

 

Meine Verbindung zu Margarete Bothe und zur Stadt Merseburg

führt wie ein roter Faden direkt in unsere Familiengeschichte.

Er führt zu meiner Mutter Elfriede und in die Zeit der 50-er Jahre.

Er führt in die lebhaften Gespräche in der Familienrunde, wenn

mein Vater und meine Mutter und wir 5 Kinder um den Esstisch saßen.

 

Bisweilen kam meine Mutter ins Erzählen.

Dann fiel immer der Name ihrer besten Merseburger Freundin,

                                 Margarete Bothe,

                  von meiner Mutter nur „Lütte“ genannt

 

Bitte erlauben Sie mir, dass ich Margarete im folgenden auch so nenne.

 

Meine Mutter plauderte häufig über die Zeit ihrer Jugend in den 20-er Jahren in Merseburg. Jene Zeit war geprägt durch ihre innige Freundschaft mit Lütte. Diese Freundin war außergewöhnlich und unvergessen.

Ich liebte diese Geschichten.

 

Manchmal geschah es, dass sich die Stimme meiner Mutter beim Erzählen veränderte. Dann schaute sie niemand von uns Kindern direkt an.

Unsere energische Mutter klang seltsam entrückt, wehmütig und ernst.

Deshalb haben wir Kinder auch niemals nachgefragt.

Meine Mutter Elfriede wurde im September 1914 in Greiz geboren.

6 Wochen später fiel ihr Vater im 1. Weltkrieg in Frankreich.

1922 heiratete meine Großmutter erneut und zog mit Elfriede

und neuem Mann von Greiz nach Merseburg.

Dieser hatte im selben Jahr eine Anstellung bei der Merseburger Feuersozietät erhalten. Ab 1924 wurde die Gesellschaft von Gustav Bothe, dem Vater von Lütte, geleitet .

 

Hier beginnt der rote Faden der Erinnerung:

Die Feuersozietät hatte die Adresse Lauchstädterstraße 2-4.

Meine Großeltern wohnten mit Elfriede wenige Häuser weiter in der Lauchstädterstraße 10, von hier aus ein paar Häuser weiter.

Vielleicht trafen sich die beiden Mädels auf der Straße...

In der 3. Klasse (heute 7. Kl.) des Merseburger Lyzeums fanden Lütte und Elfriede endgültig zueinander.

 

Sie wurden unzertrennlich

 

Meine damals 13-jährige Mutter, ein zurückhaltendes Einzelkind, wurde in der Familie Bothe heimisch. Die temperamentvolle Lütte verzauberte die schüchterne Elfriede.

Die Jahre zwischen 1927 bis 1931, Seite an Seite mit ihrer Herzensfreundin, haben meine Mutter entscheidend geprägt

 

Im Nachlass fand ich ihre schriftlichen Erinnerungen an Lütte.

Ich zitiere meine Mutter

„diese Zeit hat mich innerlich völlig verwandelt,

der wichtigste Mensch in allen Nöten und Freuden meines damaligen Lebens war Lütte Bothe“

oder

„Lütte und das Haus Bothe haben aus mir ein denkendes Menschenkind gemacht“

oder

„Lüttes Mutter Charlotte bedachte mich wie ihr 5. Kind“

 

1931 trennten sich die schulischen Wege der Beiden

Lütte studierte, meine Mutter heiratete 1935 hier im Merseburger Dom

und verließ dann mit meinem Vater die Stadt.

 

Die beiden jungen Frauen schrieben sich.

Lütte feierte alle Familienfeste mit meiner Mutter,

sie ist auf allen Familienbildern zu entdecken.

 

Lütte wurde die Patentante meines im Dezember 1942 geborenen

jüngsten Bruders.

1943 wurde mein Vater als Soldat eingezogen.

Im Sommer 1943 evakuierte meine Familie

nach Schmalkalden, wo ich im Januar 1945 geboren wurde.

.

Was meine Mutter über die Schicksalsjahre von 1942 bis 1945

und über Lüttes Geschick wusste, hat sie uns Kindern nicht offenbart.

 

Ich selbst verdanke den Forschungen von Wulf Bothe aus Norderstedt

und den intensiven Gesprächen mit der Nichte von Lütte,

Christine Schmidt, geb. Bothe in Hameln, viele berührende Erkenntnisse.

 

Sie hier kennen alle Margaretes Lebensweg,

ihren Mut, ihr Leiden und ihren gewaltsamen, furchtbaren Tod.

 

Aus diesem Wissen um ihr Schicksal wird ja heute hier

Lütte zu Ehren  der Stolperstein verlegt.

 

Ich mutmaße, dass meine Mutter damals die dramatischen Ereignissen

der letzten Lebensmonate ihrer besten Freundin nur fragmentarisch kannte.

Von der Ermordung ihrer Freundin erfuhr sie durch Lüttes Mutter Charlotte.

 

Meine Mutter starb im November 1988, 4 Jahrzehnte nach Lüttes Tod.

Ich möchte zum Schluss betonen,

dass es auch für sie tröstlich gewesen wäre,

hätte sie von dieser posthumen Ehrung ihrer Freundin Lütte gewusst –

sie wäre heute hierher gekommen.

 

Ich danke Ihnen.

 

Dr. Barbara Murken

Ottabrunn/bei München

 


Datum: 17.04.2021

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